Sexuelle Belästigung verarbeiten

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Hey ich bin 26 und habe lange mit mir gerungen, dass hier jetzt zu schreiben, weil ich mir selbst total blöd damit vorkomme, aber glaube, dass es gut tut mir das ganze Mal von der Seele zu “reden”. Vor vier Jahren war ich noch in meiner alten Beziehung und bekam über die Eltern meines Partners einen Studentenjob im Lokal eines befreundeten Mannes. Mir gefiel die Arbeit und ich hatte Spaß dabei, bis der Lokalbesitzer angefangen hat mir Komplimente zu machen. Allein diese waren immer sehr schmierig und ich fühlte mich nicht wohl, dachte mir aber immer, dass das halt sein Humor ist und schenkte dem ganzen keine weitere Beachtung. Er selbst war verheiratet, was mir ein Gefühl von Sicherheit gab, zudem war er ja mit den Eltern meines Ex-Freundes befreundet, demnach dachte ich es bleibt bei den Komplimenten. Schnell hat er aber angefangen mich zu berühren, zuerst flüchtig beim vorbeigehen, dann ganz absichtlich. Er packte mich oft an der Hüfte Richtung Intimbereich oder kam von hinten her und küsste mich am Hals. Jedes Mal wenn das passierte, erstarrte ich förmlich, ein “ich möchte das nicht” brachte ich aber nicht über die Lippen. Die Annäherungen wurden immer heftiger und ich versuchte ihm so gut es ging aus dem Weg zu gehen. Ich war jung und völlig überfordert mit der Situation, konnte aber mit niemanden darüber reden, das glaubte ich zumindest. Jede Nacht heulte ich mich in den Schlaf, jeder weitere Dienst war schlimmer als der vorherige. Mein Ex-Freund bemerkte meine nächtlichen Weinanfälle, fragte auch nach was los sei, ich konnte es ihm aber nicht erzählen. Zu groß war die Angst, dass mir keiner glauben würde, deshalb war kündigen für mich auch keine Option, da ich ja in diesem Fall auch den Grund hätte nennen müssen. Zu meinem Glück verkaufte der Besitzer sein Lokal und zog mit seiner Familie ins Nachbarland ein paar Monate später.
Die restliche Zeit in der Arbeit war jedoch der Horror. Jede Nacht hatte ich Angst vergewaltigt zu werden, sagte mir aber, dass es bald ein Ende habe. Als der Besitzer wegzog und auch die Beziehung zu Bruch ging, war die Person nicht mehr präsent, da auch sein Name nicht mehr ständig erwähnt wurde. Zudem fühlte ich mich einfach sicher, weil er 200 km entfernt gewohnt hat. Ich dachte mit der Zeit, dass ich es gut verarbeitet habe, als ich ihn aber letztens vor mir in der Stadt gehen sah, kam alles wieder hoch, besonders da ich einfach nicht mit ihm rechnete, da er ja nicht mehr hier wohnt. Ich fing am ganzen Körper an zu zittern und musste sofort die Straßenseite wechseln, was ich auch getan habe, ohne auf den Verkehr zu achten, was sehr schief gehen hätte können. Mir wurde bewusst, dass ich es nur verdrängt, aber nicht verarbeitet habe. Ich wünschte ich hätte ihn damals angezeigt. Zu groß war/ist aber die Scham. Bis heute weiß niemand davon.

1 comment

  1. Danke, dass Sie Ihre Geschichte hier mit uns teilen. Sie haben Recht, es tut gut, sich Belastungen von der Seele schreiben zu können. Das ermöglicht Ihnen, sich von der Erfahrung zu distanzieren, wodurch häufig neue Sichtweisen eingenommen werden können. Auch das Reden über die Erfahrung mit anderen Personen, denen man vertraut, kann oft als erleichternd empfunden werden, da belastende Glaubenssätze, wie z. B. “Niemand wird mir glauben.”, bearbeitet werden. Sie schreiben, dass Ihnen durch das Wiedersehen dieses Mannes bewusst wurde, dass Sie die Erfahrung nur verdrängt, aber nicht verarbeitet haben, und wünschten, Sie hätten ihn damals angezeigt. Sie hatten damals gute Gründe für Ihr Verhalten. Sie waren in einer Situation, in der Sie große Hilf- und Wehrlosigkeit erlebt haben. Niemand sollte sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz erdulden müssen. Es ist absolut verständlich, dass Sie nicht wussten, wie Sie mit der Situation umgehen sollten. Schämen Sie sich nicht dafür. Sie trifft keine Schuld.
    Diese Erfahrung ist jetzt zu Ende, aber das Wiedersehen dieses Mannes hat Sie gefühlsmäßig wieder zurückgeworfen. Sie können nicht verändern, was damals passiert ist, aber Sie können jetzt gut für sich sorgen, auf Ihre Bedürfnisse hören, schauen, was Ihnen gut tut. Vielleicht möchten Sie auch den Schritt wagen, mit jemandem darüber zu sprechen.
    Vielleicht möchten Sie auch im Rahmen einer Psychotherapie bearbeiten, was die damalige Erfahrung heute noch in Ihnen auslöst.
    Sie sind mutig. Das erkennt man schon daran, dass Sie Ihre Erfahrung hier geteilt haben, für andere zum Lesen, denen vielleicht ähnliches widerfahren ist und die sich (noch) nicht trauen, darüber zu sprechen und sich durch Ihren Mut möglicherweise ebenso ermutigt fühlen.

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