Verunsichert zu sein ist ganz normal

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Sehr geehrte Damen und Herren,

Ich habe ein Problem mit Ängsten.

Grundsätzlich würde ich mich als positiven, ausgeglichenen Menschen bezeichnen, aber ich habe jetzt leider schon öfters Kontakte mit einer tiefen Panik gehabt.

Das erste Mal war ich mit ernstlichen Ängsten mit etwa 16 Jahren konfrontiert. Ich habe einen Freund besucht und dort Cannabis ausprobiert, leider viel zu viel erwischt und die Erfahrung eines “Horrortrips” gehabt.
Danach hatte ich große Sorgen, dass sich möglicherweise irgendetwas irreversibel verändert hat. Ich hatte so ein umbeschreibbares Gefühl “ist jetzt irgendetwas anders?”
So habe ich recherchiert und bin aufs Thema “Derealisation und Depersonalisation” gekommen. Die Angst, etwas hätte sich verändert kombiniert mit den schrecklichen Informationen aus dem Internet hat sich unterschwellig eingenistet. Ich hatte Sorge, mich nicht mehr “normal” fühlen zu können. Ich habe häufig hinterfragt, ob ich die Realität normal wahrnehme und meine Erinnerungen sich lebhaft anfühlen.

Schlimmer wurde es dann nach der Matura, als ich auf einmal viel mehr Freizeit hatte.

Ich war zu dieser Zeit mit meiner Freundin frisch zusammengekommen und mit ihr zu sein hat mir viel Halt gegeben. Wenn ich nicht mit ihr in Kontakt war hatte ich oft einen komischen Druck auf der Brust, den ich mir nicht so recht erklären konnte. Als dann der Sommerurlaub mit der Familie anstand, wollte ich eigentlich nicht mitfahren, sondern nur zuhause bei ihr bleiben.

Im Flugzeug haben meine Gedanken gerast, ich habe zuerst ständig daran gedacht was denn wäre, wenn sie sich nicht mehr für mich interessieren werde, sobald ich zurück bin. Diese Sorge hat sich in Angst und weiter in Panik gesteigert. Gedanken wie: “Was wenn das Flugzeug abstürzt, was wenn ihr etwas zuhause passiert?” machten sich breit.

Im Urlaub angekommen habe ich mir gedacht: “wieso fühle ich mich so?”

Da hat die alte Angst der Depersonalisation und Derealisation ihren Raum gefunden, weil ich mir dachte, irgendwas stimme ja wohl mit mir nicht und hier meinen Ansatzpunkt gefunden hab. Den ganzen Urlaub habe ich mich seltsam ängstlich und neben der Spur empfunden

Als ich zurück war, ging es mir wieder besser, obwohl ich immer noch viel recherchiert und an mein Problem gedacht hab, und zeitweise auch große Gefühle der Panik verspürte.

Vor allem die Informationen von Personen, Psychotherapeuten würden das Problem nicht entdecken, manche würden es ihr Leben lang nicht los etc. haben mir sehr zu schaffen gemacht.

Linderung hatte ich dann jedenfalls, als ich zum Bundesheer musste und schlichtweg die Möglichkeit nicht hatte, mir zu viel Gedanken zu machen.

Dann kam Corona und die Lockdowns zuhause waren oft nicht so leicht (vor allem aus Langeweile), aber ich fühlte mich, als hätte ich das Problem überwunden. Das Studium lief gut.
Nur eine Sache nagte weiter an mir. Ich hatte beinahe täglich, trotz meines Glücks, das Gefühl, mein Leben “optimieren” zu müssen. Mache ich alles richtig? Die Angst, mich irgendwann in einer unglücklichen Lebenssituation wiederzufinden (wie damals) beschäftigte mich offenbar weiterhin. So brannten und brennen mir seit Jahren viele philosophische Fragen auf der Seele.
Was ist das richtige und gute Leben? (Wie) kann jeder Mensch glücklich werden? Wie findet man seinen Sinn im Leben, der einen auch bestimmt erfüllt?

Nach dem Auszug aus dem Elternhaus vor 3 Monaten hatte ich mehr Zeit zum Nachdenken und fühlte mich zunehmend unwohl mit dem Gefühl, ständig etwas ändern zu wollen. Auch meine Freundin fragte mich, was mich denn ständig unterschwellig an meine Glück hindere?

So begann ich in der Philosophie zu recherchieren, um endlich Antworten zu finden.

Begonnen hat diese Recherche für mich mit der Frage nach dem freien Willen. Mich hatte schon seit Jahren die Frage gequält: wenn jemand XY macht, hätte er auch Z machen können? Wenn ja, wieso machen Leute Dinge, die offenkundig nicht gut sind?
Wieso denke ich mir häufig was ich nicht alles ändern sollte, wenn doch klar ist, dass alles bei mir super läuft.

In der Hoffnung, durch die Suche Möglichkeiten zu entdecken, sich bei Entscheidungen leichter zu tun bzw. generell besser zu verstehen, wie ich mich bestmöglich entscheiden soll, begann ich meine Suche mit der Frage “Hat der Mensch einen freien Willen”

Die Antwort des Internets auf meine Frage hat mir den Boden unter den Füßen weggerissen.

Sowohl Neurobiologie, Physik, als auch der Großteil der Philosophie hält am sg “Determinismus” fest.

Der Determinismus ist die Überzeugung, dass der Weltenlauf vorherbestimmt ist, und Menschen folglich keine freie Wahl haben.

Die Sicht der Physik besagt, dass alle Ereignisse auf unserer Makroebene (Quantenwelt ausgenommen) auf Ursachen zurückzuführen sind und annähernd berechenbar wären, wenn man nur alle Daten hätte -> kein Freier Wille

Die Neurobiologie besagt, dass es für alle Gedanken Korrelate im Gehirn gibt, dass das emotionale Unterbewusstsein uns leite und das Bewusstsein sich die Handlungen lediglich zuschreibe (Ein Verweis hierbei aufs Libet-Experiment).

Die Philosophie ist gespalten, jedoch folgen die meisten Philosophen der Ansicht Schopenhauers “ich kann zwar tun was ich will, aber nicht wollen, was ich will.

Dieser, der Alltagsintuition widersprechende Konsens versetzt mich in große Panik.

Ein logisches “zu Ende-Denken” würde bedeuten, dass man weder sich noch anderen Verantwortung zuschreiben könne. Niemand hätte in so einer Welt ja dann etwas dafür getan, dass er/sie ein erfolgreiches Leben führt, oder im Gefängnis landet.

Die Panik, die in mir aufstieg, versuchte ich durch eingehendes Studium der Quellenlage zu diesem Thema zu vertreiben, um plausible Sichtweisen zu finden, die anders behaupten. Manchmal fand ich Texte, die mir halfen und ich hatte für ein paar Stunden Ruhe, aber immer kam die Beklemmung zurück und das Gefühl der Ohnmacht bereitet mir große Schwierigkeiten.

Auch Verdrängen hat sich für mich als nicht möglich erwiesen, kommen doch immer wieder Gedanken die sagen “du denkst dich nicht selbst, du kannst das nicht verdrängen” oder “wenn alles determiniert ist ist vielleicht auch einfach determiniert, dass es dir ab jetzt schlecht geht und du kannst nichts dagegen tun”.

Ich fühle mich in einer Zwickmühle:
wenn
a) der Determinismus Recht hat, dann bin ja ich tatsächlich dem Leben machtlos ausgeliefert
b) der Determinismus nicht Recht hat, mache ich mich gerade selbst unglücklich in einem objektiv großartigen Leben und fühle mich schuldig

Egal welche Gedanken ich mir zurecht lege, immer wieder steigt der Gedanke auf, dass ich ohnehin nichts ändern könne, dass das Leben in seinen Bahnen verläuft und ich ein Spielball des Lebens bin – wie alle Menschen, nur dass ich mit dieser Erkenntnis nicht klar kommen könne.

Ich hoffe sehr, dass meine Sorgen nicht wie krude Verschwörungstheorien klingen, sondern halbwegs verständlich meinen inneren Konflikt darlegen.

Die Angst vor Fremdbestimmung ist zeitweise lähmend und ich hoffe, auf diesem Wege Hilfe zu finden.

Vielen Dank!

1 comment

  1. Sie erzählen ausführlich Ihre gedankliche Beschäftigung mit sich über ein paar Jahre. Zuerst empfehle ich Ihnen sehr, sich über Depersonalisation und Derealisation nicht weiter Gedanken zu machen! Dass Sie rund um die Matura eine eher instabile Phase hatten, kann ich gut nachvollziehen. In dieser Lebensphase ist viel Veränderung im Gange (Das verunsichert viele, nicht jeder spricht darüber!)-auch die Angst, der Freundin könnte etwas zustoßen ist klassisch. (Dieses Thema kommt sogar in der griechischen Mythologie vor: wenn sich 2 Menschen in einander verlieben, entsteht gleich darauf die Angst, man könnte einander verlieren.)
    Ich habe den Eindruck, dass Sie sich sehr im Denken verlieren. Interessant ist, dass Sie beim Bundesheer diese Ängste nicht hatten! Ich vermute, dass das mit den sportlichen Aktivitäten zu tun hat. Denken ist nur eine von 4 Funktionen unseres Bewusstseins (die anderen: Fühlen, Intuition, Empfindung). Jetzt leben wir in einer Zeit, die so schnell und so verstandesbetont ist, wie nie zuvor! Das destabilisiert an sich schon. Ein guter Ausgleich wäre Bewegung (Körper spüren!!) , Musik, Natur alles was SINNLICH WAHRNEHMBAR ist!
    Viele junge Menschen sind stundenlang im Internet – das ist extrem einseitig und ruft nach AUSGLEICH!
    Was gut gegen Angst hilft ist: Freude aller Art (auch kleine Freuden!!) Musik, Humor, Bewegung, etwas ausprobieren,….
    Zurecht gelegte Gedanken sind wenig hilfreich. Oft denkt man sich direkt in eine Angst hinein, die dann immer größer wird….
    Ich empfehle Ihnen sehr, die Beschäftigung mit dem “Determinismus” bleiben zu lassen! (Ich gehe davon aus, dass wir viel Freiheit haben, jedoch die Konsequenzen unseres Handelns tragen müssen.)
    Wenn Sie auf der Suche nach einem guten Leben sind, nehmen Sie sich das Thema innerlich her und gehen Sie eine Stunde (am Besten in angenehmer Umgebung!), sammeln Sie für sich ein, was Sie mögen, was Ihnen Freude macht! Machen Sie sich Notizen! Sprechen Sie mit Ihrer Freundin darüber, finden Sie heraus, wo Ihre FREUDE zu finden ist! Das wirkt sehr gut, wenn Sie sich drauf einlassen.
    Das mit der “Selbstoptimierung” ist eine Geschichte für sich. Das ist ein großer Stressfaktor, besonders bei jungen Menschen. “Es ist nicht genug, ich muss noch mehr….” So scheint es in den Köpfen verankert zu sein, fast als ob das ganze Leben eine Leistungsveranstaltung wäre! Dem muss ich entschieden widersprechen!
    Versuchen Sie die Dinge, die da sind, mit Einfachheit zu betrachten: Das Menschliche Leben beginnt vor der Geburt (geheimnisvoll, nicht wahr?) und geht, so scheint es, mit dem körperlichen Tod zu Ende (danach wieder Geheimnis!) – zwischen den beiden Polen versuchen wir ein unserer Begabung und Freude entsprechendes, sinnerfülltes Leben zu gestalten. Also ist eine gute Frage: Was ist meine Begabung, woran habe ich Freude, was möchte ich machen?” Damit könnten Sie wieder einen Spaziergang machen. (Nicht umsonst haben die alten Philosophen im Gehen nachgedacht.) Die Bewegung macht etwas mit unserem Gehirn, der Rhythmus wirkt auf das Nervensystem, Sie sind zugleich mit dem Boden verbunden.
    Das große Problem unserer Zeit ist eine arge Entfremdung von der Natur (Auch unser Körper ist Natur!)- Menschen sitzen vor Bildschirmen, bis sie sich selbst nicht mehr spüren. Grübeln würgt alle Lebendigkeit ab.
    Versuchen Sie nicht, ständig etwas zu ändern – nehmen Sie wahr, was DA ist, finden Sie heraus, was davon Ihnen gut tut! Ihre Freundin ist dabei sicher eine gute Hilfe und kann Sie aufmerksam machen, wenn Sie ins Grübeln kommen!